Kunst als Lebensmittel kommt zu kurz

Kunst als „Lebensmittel“ kommt zu kurz

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Rheinpfalz, Ausgabe vom 07. Mai 2021, von Gereon Hoffmann.

Anja Kleinhans wollte im Mai wieder Theater spielen. Ihr Theader Freinsheim ist vorbereitet. Doch das verbietet die Corona-Verordnung des Landes. Die Künstlerin hat an die Ministerpräsidentin einen eindringlichen Appell geschrieben.

Dass das Land Rheinland-Pfalz sich bemüht, Künstlern unter die Arme zu greifen, Förderungen für Projekte vergibt, finanzielle Mittel bereitstellt, sieht die Theatermacherin und bedankt sich ausdrücklich dafür. Doch ihr eigentliches Anliegen reicht viel tiefer: Es geht ihr um Kunst als „Lebensmittel“ der Gesellschaft und der Menschen, die diese Gesellschaft ausmachen. Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung, Misstrauen, Isolation und Depression sieht die Freinsheimerin als Nebenwirkung des Handelns von Staat und Gesellschaft in der Pandemie. Ziel dieses Handelns sei, Sicherheit zu vermitteln, aber das erreiche immer nur Teile der Bevölkerung. Doch Sicherheit gebe es im Leben nicht, ist Kleinhans überzeugt. Das müsse der Einzelne aushalten.

Kunst als Medizin und Ermutiger

Und eben genau dieses Aushalten und Auseinandersetzen zu unterstützen, sei Aufgabe der Kunst. Sie sei „Medizin und Ermutiger für eine reifende Gesellschaft“, sagt Kleinhans. Deshalb sei Kunst eine wichtige Ergänzung des Regierungshandelns und das Zusammenwirken von Politik und Kultur zu wünschen – nicht nur in Form von Finanzspritzen, die von oben herab gegeben werden, sondern durch gegenseitiges Vertrauen. Kleinhans‘ Schreiben an Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) endet mit dem Appell: „Bitte ermöglichen Sie, dass wir Künstler unsere ebenfalls gesellschaftlich akut notwendige Arbeit tun dürfen!“ Eine direkte Antwort aus Mainz hat die Künstlerin bis jetzt nicht bekommen, sagte sie auf Rückfrage der RHEINPFALZ. Sie befürchtet, dass in der Politik die Bedeutung von Kunst und Kultur nicht gesehen werde – trotz der gegenteiligen Beteuerung der Kanzlerin in der Gesprächsrunde mit Kulturschaffenden. „Wir sind die Spaßindustrie und nicht so wichtig“, sei eine verbreitete Ansicht. Inzwischen hat die Künstlerin erfahren, dass die Einschränkung der Landesregierung auch bei einer Inzidenz unter 100 im Landkreis weiter gelten würden und damit voraussichtlich auch ihre geplanten Freilichtaufführungen bis 23. Mai untersagt bleiben. Das ist für sie nicht nachvollziehbar, sagt sie im Gespräch und beruft sich auf wissenschaftliche Studien, nach denen keine Ansteckungsgefahr bei Freilichttheater bestehe. Auf den Einwand, nicht die Veranstaltung, sondern die Begegnungen davor und danach seien problematisch, entgegnet sie: „Dann müsste man das Leben komplett einschränken, aber ich unterstelle, dass die Besucher sich vernünftig verhalten.“ Dies habe sich im vergangenen Jahr bei den erlaubten Veranstaltungen gezeigt.

Unklare Zukunft fürs „Theader“

Anja Kleinhans sieht mit den Corona- Regeln eine Einschränkung der Freiheitsrechte und das müsse diskutiert werden. Die Aktion #allesdichtmachen, bei der Schauspieler wie Jan Josef Liefers oder Ulrich Tukur ironisch überspitzt in Videobotschaften die geltenden Einschränkungen kritisiert haben, sieht sie positiv. Gerade der dadurch ausgelöste Aufschrei zeige, wie viel Angst in der Gesellschaft verbreitet sei. Sie widerspricht der Ansicht, die Beteiligten verhöhnten den Kampf gegen die Pandemie und nähmen deren Auswirkungen nicht ernst. Auch sei es falsch, kritische Stimmen mit rechtsgerichteten Positionen gleichzusetzen. Die unklare Zukunft ist für das Theader Freinsheim schwierig: Die Veranstaltungen brauchen Vorlauf und Verträge, nicht nur für Kleinhans, sondern weitere Schauspieler, Bühne und Technik und das Drumherum. Fördermittel für Produktionen habe sie bekommen. Proben seien unter Auflagen möglich und teils auch Bedingung für die Freigabe der Mittel. Und so arbeitet Kleinhans derzeit, ohne zu wissen wann sie ihr eigentliches Ziel, nämlich Aufführungen mit und für Publikum, erreichen kann.

Bedeutung für offene und demokratische Gesellschaft

„Ich versuche, mich nicht zum Opfer zu machen, sondern Kunst zu machen“, sagt sie. Sie schreibe an ihrem Stück, obwohl es vielleicht nicht gezeigt werden könne. „Es geht ja nicht verloren“, sagt sie und spricht sich damit auch selbst Mut zu. In ihrem Appell gehe es nicht um ihr Ego und Selbstüberhöhung. Es gehe ihr um Kunst und deren Bedeutung für eine offene und demokratische Gesellschaft. „Kunst wird es immer geben, sie ist nicht zerstörbar. Und Kunst steht für Freiheit und für das Miteinander“, ist die Schauspielerin überzeugt.

IM NETZ

Über die aktuelle Entwicklung im „Theader Freinsheim“ und mögliche Aufführungen informiert die Website www.theader.de.

Corona Information

Für unsere Vorstellungen gilt die jeweils aktuelle Corona-Verordnung von Rheinland-Pfalz.