Briefe einer unerfüllten Liebe

Rheinpfalz, Ausgabe vom 24. August 2020, von Birgit Karg.

TAW Sommerbühne: „Love Letters“ bewegt Publikum.

Um zwei Menschen, die füreinander bestimmt sind, aber letztlich nicht richtig zueinander finden, geht es in „Love Letters“ von Albert R. Gurney. Mit dem Lesestück gastierte das Theader Freinsheim am Freitagabend auf der Sommerbühne des Theaters alte Werkstatt (TAW) in Großkarlbach. Die beiden Schauspieler Anja Kleinhans und Christian Birko-Flemming gingen in ihren Rollen voll auf und hinterließen ein tief bewegtes Publikum.

In seinem im Jahr 1988 uraufgeführten Zwei-Personen-Stück behandelt der US-amerikanische Dramatiker Albert R. Gurney (1930 – 2017) in einem scharfsinnigen Psychogramm die Frage nach Nähe und Distanz in der Liebe. Dafür nutzt er ein gleichsam geniales wie einfaches Setting: das Vorlesen von Briefen. Es sind die Briefe einer unerfüllten Liebe.

Melissa Gardner (Anja Kleinhans) stammt aus reichem Hause, Andrew Makepeace (Christian Birko-Flemming) aus einfachen Verhältnissen. Beide kennen einander seit Kindertagen. Ihre Liebe beginnt schon in der Grundschule und wird sich über Jahrzehnte entwickeln – beim Schreiben von Briefen. Auf der einen Seite ist da eine große emotionale Nähe zwischen den beiden, auf der anderen dagegen eine räumliche Distanz. Sie ist spontan, kreativ, eine Künstlerseele. Und in ihrem Leben macht sich Chaos breit. Früher Missbrauch, zerrüttete Familienverhältnisse und Alkoholsucht führen Melissa in die Psychiatrie. Ganz anders verläuft das Leben von Andrew, das von Vernunft, Verantwortung und dem Streben nach sozialem Aufstieg erfüllt ist.

Einschalten, Ausschalten
Das Stück ist per se minimalistisch und als frontale Doppellesung mit räumlichem Abstand zugleich Corona-konform. Durchgängiges Gestaltungsmerkmal des Abends ist die Lichtregie. Einschalten, ausschalten – nach diesem Prinzip werden die beiden Akteure in Szene gesetzt. Während der eine schweigend in der Dunkelheit verschwindet, wird der Fokus auf denjenigen gerichtet, der gerade liest. Ein stimmiger Regieeinfall ist die programmatische Anfangsszene, in der sich Melissa und Andrew Auge in Auge tangohaft umkreisen.

In seinem 1988 uraufgeführten Lesestück lässt Albert R. Gurney seinen Darstellern selbstredend wenig Spielraum zum Ausagieren, und so lesen die Schauspieler ihre Rollen buchstäblich vom Blatt ab. Nur mit ihrer Stimme, Mimik und einer sparsamen Gestik verleihen Kleinhans und Birko-Flemming ihren Figuren Profil und Glaubwürdigkeit. Melissa und Andrew bekommen so in ihren unterschiedlichen Lebensphasen immer mehr Konturen.

Heimliche Begegnungen
Poetische und feinsinnige Momente wechseln sich in Rede und Gegenrede vor allem im zweiten Teil ab mit dramatischen Wendungen. Nur wenige Male finden die beiden Liebenden auch im wirklichen Leben zueinander: heimliche Begegnungen, fragil, situativ in einer konstruierten Gegenwelt, die stets von gesellschaftlichen Konventionen und familiären Verpflichtungen bedroht wird.

Die rund 40 Zuschauer im fast ausverkauften Open-Air-Theater in Großkarlbach lauschten der Darbietung ergriffen und anteilnehmend. Sie erlebten die schicksalhaften Wendungen in den Lebenswegen der beiden Protagonisten hautnah – Leben und Lieben als Achterbahnfahrt mit komplexer Sogwirkung.

Ob das Stück nun als Protokoll des Scheiterns oder als Plädoyer für mehr Mut zum Überwinden von gesellschaftlichen Schranken zu verstehen ist, bleibt offen. Es endet jedenfalls tragisch mit dem Tod von Melissa. In einem Abschiedsbrief an die Mutter seiner „verlorenen Prinzessin“ wird sich Andrew zu spät seiner lebenslangen Liebe bewusst. Ein letztes tangohaftes Umkreisen der beiden Akteure im virtuellen Raum entlässt das Publikum in die laue Sommernacht.

Corona Information

Für unsere Vorstellungen gilt die jeweils aktuelle Corona-Verordnung von Rheinland-Pfalz.