Die Languste als Symbol einer sozialen Kluft

Rheinpfalz, Ausgabe vom 04. Oktober 2021, von Hans Heinen.

Überzeugender Solo-Auftritt von Anja Kleinhans bei dem Stück „Langusten“.

„Draußen lässt die Nacht die Rollos runter“, heißt es in dem Stück „Langusten“ von Fred Denger. Drinnen sieht es längst düster aus: Putzfrau Marie Bornemann steht am Rande der Gesellschaft, perspektivlos. Die Dramatik ihres Schicksals brachte Anja Kleinhans beim Gastspiel des „Theader Freinsheim“ am Samstag in der Halle der Mozartschule berührend auf die Bühne.

Das Schauspiel, das pandemiebedingt in die große Halle verlegt worden war, hätte bestens in den kleineren Saal des Dr.-Lederer-Hauses gepasst und dort in der Form eines Kammerspiels aufgeführt werden können. Aber das Stück aus den 1960er Jahren, verfehlte auch in der ausgewählten Stätte seine betroffen machende Wirkung nicht. Denn für fast eineinhalb Stunden ließ der packende Solo-Auftritt der Schauspielerin das Umfeld vergessen.

Das schlichte Bühnenbild symbolisierte die Lage der vereinsamten und verarmten Marie Bornemann. Aus dem Sperrmüll hätte die Einrichtung zusammengestellt sein können: das altmodische Sofa, Holztisch und Stühle, der abgenutzte Gasherd, der mickrige Plattenspieler. An der Möblierung zeigten sich die ärmlichen Lebensverhältnisse, und auch schon an den ersten Sätzen, die nach der schon fast strapaziösen Eröffnung durch Schweigen zum Publikum drangen.

Verbitterung bricht aus

Man muss warten können und Geduld haben, lautet eine Lebensweisheit der Marie Bornemann. Neben ihr tickt die Pendeluhr, beharrlich, und symbolisiert das Leben, das weitergeht, ohne sie mitzunehmen. Zur Ausnahme hätte die Feier ihres 60. Geburtstags werden sollen, das Festessen mit einer Languste, ein Geschenk ihres Chefs, dem Inhaber eines Delikatessenladens. Doch selbst hier spielte ihr das Schicksal einen Streich, weil Generaldirektor Meier kurz vor Ladenschluss die Languste orderte, sie aber das Paket nicht bei ihm abgab, dafür nun die Kündigung erwartet und mit Polizeibesuch rechnen muss.

Bis dahin hat Marie Bornemann ohnehin schon alles verloren. Ihr Angetrauter, Schneidergeselle Emil Teuerlein, hat „die reiche Holberg“ geheiratet (die „ihm allerdings kein Glück gebracht hat“, auch er fristet ein Dasein in Armut), ihr Sohn erinnert sich nicht mehr an die Mutter. Sie durchlebt wechselhafte Gefühle, lässt mitunter ihre Verbitterung schreiend ausbrechen, zieht sich aber auch in sich zurück, resigniert und bewahrt sich andererseits eine Portion Humor und Spott.

Die feinsinnige Komik verschafft sich Platz beim erwartungsgemäßen Ausbleiben der drei eingeladenen Gäste. Immer erweist sich dabei die Languste, Sinnbild für gesellschaftlichen Glanz und Wohlstand, als Stein des Anstoßes. Sie symbolisiert eine trennende soziale Kluft. Emil Teuerlein, dem Marie Bornemann zufällig wieder begegnet ist, fürchtet, sich beim Essen zu blamieren. Hier setzt sich die Tragik der enttäuschten Liebe fort. Oma Witzling aus dem Altersheim, eine Zufallsbekanntschaft, schadet die Aufregung; sie „stirbt an der Languste“. Die „aristokratische Putzfrau“ Ella, in Diensten eines Barons, disqualifiziert sich durch ihr Geschenk aus Teilen eines gestohlenen Silberbestecks zum Verzehr der Languste.

Ein Lied zum Ende

Die Languste ist ein Fremdkörper im schlichten Umfeld der Marie Bornemann. Es bleibt die Erkenntnis, dass soziale Kluft abweisende Distanz schafft.Nicht einmal für ein paar Stunden kommt ein Miteinander in den grauen Alltag. „Der liebe Gott“ habe sie vergessen, meint Marie Bornemann. Menschen wie sie stehen auf der Schattenseite, Anständigkeit hilft nichtweiter.

Nur Sehnsüchte bleiben. Dafür erklingt zum Schluss des Stücks krächzend auf einer alten Schallplatte das Lied „Tiritomba“ aus den 1980er Jahren, das sich Romantik, Fröhlichkeit und Glück widmet, einer anderen Lebenswelt.

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