Seufzer in Spiegel

Rheinpfalz, Ausgabe vom 11. September 2021, von Sigrid Ladwig.

Ob und wie der Mensch die eigene Endlichkeit erträgt, das beleuchtet Samuel Beckett im Zweiakter „Glückliche Tage“, inszeniert vom „Theader Freinsheim“ unter dem Jahresmotto „Liebe“. Im Retzerpark wurde jetzt Premiere gefeiert.

Leicht führt der Titel in die Irre: Weder geht es um glückliche Erfüllung noch um eine unterhaltsame Handlung. Was sich der Besucher gemeinhin unter Theater vorstellt, etwa die Abfolge szenischer Geschehnisse, das gewährt Beckett ihm nicht. Stattdessen offenbart der irische Autor konsequent die Absurdität, die er in unserem Dasein findet.

Seine genauen Bühnenanweisungen geben vor, dass die Hauptfigur Winnie bis zum Oberkörper in einen Erdhügel eingeschlossen ist. Diese Situation entschärft die Freiluft-Inszenierung des Theaders optisch ansprechend: Vielfältige Stoffe umkleiden Darstellerin Anja Kleinhans wie eine überdimensionale Robe, kunstvoll drapiert vom Sackleinen bis zum feinen Flor.

Überhaupt strahlt der Bühnenaufbau von Manuela Studer und Peter Wilhelm etwas Versöhnliches aus. Freundliche Farben mildern die Ausweglosigkeit, Blätter und Weintrauben beleben Stoffe und den über die Bühne gespannten Weinbergdraht. In dieser Umgebung wirkt die Protagonistin durch Schminke und Tracht bewusst puppenhaft gekünstelt. Doch das ist nur die eine Seite.

Die Regie von Christian Birko-Flemming, dem Helga Ziegler assistiert, pointiert den Gegensatz von körperlichem Verfall und Glücksstreben. Dabei gibt Anja Kleinhans ihrer Winnie eine unerhört reiche Ausdrucksfülle. Ob sie nun energisch Zahnpflege betreibt, ob sie ihren Gatten Willie anschreit, maßregelt oder anfleht, ob sie träumt, summt, lacht oder verzweifelt: Immer macht sie ihre abwegige Lage für den Zuschauer greifbar.

Streckenweise im heimischen Pfälzisch redend, findet diese Frau viele Ausflüche, um sich ihre Verfassung schönzufärben. In einer großen Bandbreite von Gefühlen wiederholt sie gebetsmühlenartig Worte und Sätze, die angesichts des nahen Endes Trost geben sollen. Abermals greift sie in eine Sacktasche, nimmt Dinge heraus, an denen sie Erinnerungen von früherer Leichtigkeit festmacht. „Hin und wieder ein Seufzer in meinen Spiegel“, lautet einer ihrer Sätze, vielsagend und fruchtlos zugleich.

Das Stück ist beinahe durchweg ein Monolog, denn Bühnenpartner Christian Birko-Flemming tritt als Willie wenig in Erscheinung. Seine Unsichtbarkeit wird durch kurzes Auftauchen unterbrochen, seine kargen Antworten bleiben dumpf, sein Blick geht ins Leere. Diese apathische Hinfälligkeit macht die Konstellation umso trostloser, in der die beiden einander kaum noch wahrnehmen.

Der zweite Akt, weit kürzer als der erste, verdichtet die Paradoxie. Der Zuschauer sieht Winnie noch eingezwängter und ihre aufwärts strebenden Arme erscheinen mit Weinranken verwachsen. Absolut hilflos, beschwört sie weiter, was sie wundervoll und glückverheißend findet. Dazu gehört auch ein letzter schlaffer Versuch von Willie, sie zu erreichen: Sein klägliches Scheitern offenbart Birko-Flemming eindringlich. Dass das Stück nicht in Dunkelheit untergeht, davor bewahrt Anja Kleinhans es mit ihrem beeindruckenden nuancierten Spiel. Auch wenn der Inhalt manchen hilflos zurück lässt, ihre großartige Leistung macht „Glückliche Tage“ lebendig und sehenswert.

TERMINE

Weitere Aufführungen im Retzerpark am 11., 12., 22., 23., 24., 25. und 26. September, jeweils um 19 Uhr. Ticketreservierung unter .

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