Jüdische Geschichte aufarbeiten

Rheinpfalz, Ausgabe vom 25. Juni 2022.

Freinsheimer Stadtrat verzichtet nach Protesten auf Synagogen-Beschluss

FREINSHEIM. Die Stadtratsmitglieder wollten am Donnerstag doch nicht in einer öffentlichen Sitzung über die Zukunft der ehemaligen Synagoge diskutieren.

Zuvor hatten die politischen Gremien der Stadt darüber nur hinter verschlossenen Türen diskutiert. Zu der Stadtratssitzung am Donnerstag lag die Beschlussempfehlung von Haupt- und Bauausschuss für den Verkauf des Gebäudes vor.

Die Mehrheitskoalition aus SPD, CDU und FDP beantragte, den Tagesordnungspunkt abzusetzen. Man habe in den vergangenen Tagen rund hundert E-Mails übermittelt bekommen, begründete Christian Muly (SPD). Hierzu müsse man erst Stellung beziehen. Die Grünen plädierten dafür, nur den Beschluss von der Tagesordnung zu nehmen, nicht aber die Diskussion. Eine öffentliche Beratung zu dem Thema sei dringend notwendig, fand Fraktionssprecher Klaus Schmitz.
Thomas Rückerl (FWG) unterstütze den Antrag von SPD, CDU und FDP. Eine abschließende Meinungsbildung sei vor dem Hintergrund der vielen Mails innerhalb der FWG-Fraktion nicht möglich gewesen.

Theader-Leiterin Anja Kleinhans möchte aus der alten Synagoge in der Judengasse ein kulturelles Zentrum machen. Dazu müsste die Stadt das Gebäude aber behalten und an Kleinhans weitervermieten. Nach einer groben Kostenschätzung der Verwaltung würde eine Sanierung des Gebäudes, das 40 Jahre lang vom Männergesangverein genutzt wurde, 200.000 Euro kosten. Der Wert des Gebäudes liegt bei aktuell 140.000 Euro.

Kleinhans regte in der Einwohnerfragestunde eine Konferenz zur Zukunft des Gebäudes an. Bei einer solchen Veranstaltung könne sich auch die Politik mit anderen Personen austauschen mit dem Ziel, eine gemeinsame Lösung für das Gebäude zu finden. Man werde diese Anregung in die Gremien einbringen, versprach Bürgermeister Matthias Weber (FWG).

Im anschließenden nichtöffentlichen Teil der Sitzung hat der Stadtrat eine Stellungnahme verabschiedet, in der die Entscheidung, das Thema zunächst zurückzustellen, näher begründet wird. Den Wortlaut der Stellungnahme hat Bürgermeister Matthias Weber am Freitag der RHEINPFALZ übermittelt. „Zunächst sollen offene Fragen zum baulichen Zustand und Kosten einer möglicherweise notwendigen Kernsanierung geklärt werden. Zudem soll die Stellungnahme der Unteren Denkmalbehörde ausgewertet werden, die den vorderen, historischen Teil der Liegenschaft, nicht jedoch den stark sanierungsbedürftigen Anbau aus den 1970er Jahren betrifft“, heißt es darin. Außerdem wird angeregt, die Geschichte der ehemaligen jüdischen Gemeinde zu beleuchten. In Vorbereitung auf das 1250-jährige Jubiläum Freinsheims 2024 „könnte dieser Teil der jüdischen Geschichte aufgearbeitet und zum Beispiel im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“ Es soll geprüft werden, ob es innerhalb der Bürgerschaft Interesse an einer Arbeitsgruppe gibt, die das Thema bearbeiten möchte. | led

Wirkung unterschätzt

Kommentar von Dagmar Schindler-Nickel

Die Kommunalpolitik hat sich mit der Art und Weise, wie sie das Thema ehemalige Synagoge behandelt, selbst beschädigt.

Die bisherige Praxis, das Thema ehemalige Synagoge hinter verschlossenen Türen zu beraten, ist den politischen Vertretern der Stadt Freinsheim gewaltig auf die Füße gefallen. Es wurde unterschätzt, welch öffentliche Sogwirkung aus dem möglichen Verkauf eines historischen Gebäudes ausgeht – zumal es sich auch noch um ein Haus handelt, das einen jüdischen Hintergrund hat. Schließlich hält Freinsheim sonst diesen Teil seiner Geschichte in Form der Verleihung des Preises und der Plakette zu Ehren Hermann Sinsheimers gerne hoch.

Als Kulturschaffende ist sich Anja Kleinhans dieser Geschichte und der Verantwortung, die aus ihr entsteht, wohl bewusst. Sie hat diese Karte geschickt gespielt, als sie versuchte, vor der Sitzung am Donnerstag öffentlichen Druck aufzubauen. Und dabei hat sie auch gewonnen. Die Freinsheimer Politik hat vorerst noch einmal die Kurve gekriegt. Beschädigt ist sie trotzdem.

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