Mannheimer Morgen, Ausgabe vom 18. April 2023, von Christina Altmann.
Schauspiel: Teresa Doplers preisgekröntes Stück „Das weiße Dorf“ wird im Mannheimer Theater Oliv uraufgeführt.
Wonach strebt der Mensch? Nach Aristoteles versucht jeder ein gutes Leben zu erhalten und richtet seine Handlungen auf das Zeil, glücklich zu sein. Für Ruth und Jean in Teresa Doplers Stück „Das weiße Dorf“ besteht das Glück darin, sich beruflich zu verwirklichen. Auf dem Weg dahin ist vor Jahren ihre Beziehung auseinander gegangen. Aber die Sehnsucht nacheinander blieb, wie ein Wiedersehen zeigte.
Die österreichische Autorin Dopler gewann 2019 mit „Das weiße Dorf“ beim Heidelberger Stückemarkt. Lange musste die Uraufführung coronabedingt ausfallen und war nur als Live-Stream zu sehen. Nach Wien und Heidelberg feiert das Stück nun auch am Mannheimer Theater Oliv Premiere – eine Kooperation mit der Freinsheimer Bühne unter der Regie von Uli Hoch.
Vor der Kulisse des brasilianischen Regenwaldes gleitet ein Kreuzfahrtschiff auf dem Amazonas dem Atlantik zu. Langsam fährt es mit nur wenigen Passagieren, still und gemächlich – so ganz das Gegenteil zum stressigen Leben Karriere heischender Menschen. War es Zufall oder die verbindende Gedankenübertragung von Ruth und Jean, sich diese Kreuzfahrt auszusuchen? Jedenfalls stockt Ihnen der Atem, als sie sich plötzlich wiedersehen. Längst verdrängte Gefühle werden wach und sie erfragen im reservierten, aber knisternden Gespräch, wie es ihnen ergangen ist: Beide erfolgreich im Beruf, erfolgreich mit ihrem Partner im Bett, aber für Sehnsüchte – keine Zeit. „Wir können froh sein, dass uns immer alles gelungen ist, das ist ein großes Glück“, resümiert Jean. Doch die Frage von Ruth bleibt: „War es ein Fehler, dass wir uns nicht mehr gesehen haben?“ Nein sagt die Vernunft, ein Ja wollen sie sich nicht eingestehen.
Viel Raum zum Nachdenken
Teresa Dopler zeigt hier ein Gespür für dichte Dialoge, die in ihrem reduzierten Text die Darsteller Boris Ben Siegel und Anja Kleinhans vor eine große Herausforderung stellen. Es gibt keine Handlung, nur ein Gespräch zwischen zwei ehemals und immer noch Liebenden, das in all seiner Formalität zu Tiefenbohrungen einlädt. Doch im Stück wird nicht offen gebohrt, die detaillierten und oft intimen Fragen werden sachlich beantwortet, überlassen dem Publikum die tiefergehende Bedeutung.
Bei allem Vernunfthandeln und Karrierestreben wird das weiße andalusische Dorf zum Ort der Sehnsucht nach den wahren Wünschen und Vorstellungen, die jeder in und von seinem Lebensweg hat, sich aber oft nicht zugestehen mag. Ruth schwärmt geradezu von diesem für sie vollkommenen Dorf, aber es zusammen mit Jean zu besuchen, wie er vorschlug – dafür fehlt die Zeit.
„Wir sind die größten Idioten“, stellt Jean fest. Fehlt es an der Zeit, um wirklich glücklich zu werden? „Immerhin haben wir noch ein paar Momente“ zusammen auf diesem Kreuzfahrtschiff, lautet der letzte Satz in Teresa Doplers Stück und lässt die Frage nach künftigen Entscheidungen offen.
Äußerst sensibel haben Anja Kleinhans und Boris Ben Siegel die Dialoge in den Raum gestellt und durch klare direkte Gespräche und schweigende Pausen viel Raum für eine nachdenkliche Verarbeitung gegeben.