Kreuzfahrt im Keller

Rheinpfalz, Ausgabe vom 17. April 2023, von Stefan Otto.

Viel besser als das ZDF-Traumschiff: Das intensive Zwei-Personen-Stück „Das weiße Dorf“ von Teresa Dopler im Mannheimer „Theater Oliv“.

Ein Kammerspiel, das Weite suggeriert, ist „Das weiße Dorf“ von Teresa Dopler. Nach der Premiere im März in Freinsheim ist die Kooperation mit dem dortigen „Theader“ nun auch im Mannheimer „Theater Oliv“ zu erleben.

Es ist ein Kammerspiel vor einer Landschaftstapete, die vom breiten Amazonas-Strom den Blick auf das dicht bewaldete Ufer freigibt. Hier, auf einem namenlosen Flusskreuzer auf dem Weg zum Atlantik, begegnen sich unvermutet Ruth (Anja Kleinhans) und Jean (Boris Ben Siegel). Fern ihrer Heimaten Zürich und Köln, weit weg vom Alltag und noch weiter von ihrer gemeinsamen Vergangenheit, als sie, irgendwann früher einmal, ein sich liebendes Paar waren.

Es ist eine Begegnung, die so ähnlich auch auf dem ZDF-„Traumschiff“ stattfinden könnte, die hier jedoch viel inniger dargestellt und viel tiefgründiger verhandelt wird, als je auch nur eine einzige Episode auf dem uralten Fernseh-Dampfer. Nicht umsonst wurde die junge Österreicherin Teresa Dopler 2019 für dieses Werk mit dem Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet.

Unverhofft stehen Ruth und Jean mit glänzenden Augen einander gegenüber und taumeln und torkeln dann. Wohl nicht nur, weil ihr Schiff gerade ablegt, sondern auch weil ihre Erinnerungen und die alten Gefühle wieder hochkommen. Wieder auftauchen, wie das riesige Etwas, das sie einmal im Wasser erspähen, ohne bestimmen zu können, worum es sich eigentlich handelt. Es sei einfach das Ausmaß seiner Freude, sie wiederzusehen, die ihn beunruhige, versucht Jean sich in einer Erklärung. „Ich glaube, neben keiner anderen Person stehe ich so gerne wie neben dir.“

Boris Ben Siegel, neben Coralie Wolff der Leiter des Theaters Oliv, und Anja Kleinhans, die dem Freinsheimer „Theader“ vorsteht, spielen stimmig das Ex-Paar, das sich neu begegnet. Die alte Vertrautheit stellt sich schnell wieder ein, so dass ihr Dialog tiefer reicht, selbst wenn sie sich nur über Oberflächlichkeiten wie die Farbe des Amazonas-Wassers oder ihre jeweiligen beruflichen Erfolge austauschen. „Findest du, dass wir flirten?“, fragt Jean einmal, und sie entgegnet: „Wir unterhalten uns.“

Kinderlos sind sie beide geblieben, dafür längst mit neuen Partnern liiert. Ihr Schiff dümpelt wohl nur so dahin. Aber ihr Dialog, in der einstündigen Inszenierung von Uli Hoch, nicht. Der Berliner Hausregisseur am „Theader“ hat das Stück, dessen Handlung sich in der Originalfassung über mehrere Tage erstreckt, auf eine einzige Zufallsbegegnung auf Deck und an der Reling eingegrenzt. Die Fragen, die Jean und Ruth im Spiel von Nähe und Distanz erörtern, reichen jedoch weit über den Augenblick und eine Stunde Spielzeit hinaus. Bis hin zu jenem „weißen Dorf“, das schon der Titel benennt. Ein Sehnsuchtsort in den andalusischen Alpujarras. „Das Besondere daran: Der Ort existiert. Es gibt ihn wirklich.“ Jedoch auch das Schiff, auf dem sie sich befinden, könnte dieser Ort sein. Ein „weißes Dorf“, mit Touristen bestückt, das Brasilien gemächlich durchmisst. Wenn er nun in den Fluss spränge, „nur mal angenommen“, möchte Jean von Ruth einmal wissen, würde sie ihm dann nachspringen?

Sie möchten in Zukunft vermehrt Kooperationen eingehen, „mit Theatern unserer Größenordnung“, kündigt Boris Ben Siegel für die Zukunft „seines“ „Theaters Oliv“ an. Der Theater- Keller am Mannheimer Alten Messplatz ist klein, aber immer noch größer als Anja Kleinhans‹ „Theader“ im Casinoturm an der Stadtmauer Freinsheims, das sich mit nur 21 Plätzen als „das vielleicht kleinste Theater der Welt“ versteht. „Das weiße Dorf“ jedoch, ob in Mannheim oder Freinsheim, evoziert Weite.

NOCH FRAGEN?
Am 20. April folgt noch eine Vorstellung in Mannheim, bevor das Kreuzfahrt-Kammerspiel ab 21. April wieder im „Theader Freinsheim“ aufgeführt wird.

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