Leo, Ausgabe vom 02. September 2021.
Zwar hat die Zahl der vitalen 80-jährigen seit 1960, als Samuel Becketts Stück „Glückliche Tage“ entstand, beträchtlich zugenommen, doch gibt es immer noch genügend Menschen, die im Alter hinfällig werden und ihr gewohntes Leben weder aufrecht erhalten können, weil es die Zeit unter ihnen wegdreht, noch sich im Alter ein neues erobern können. Wer diese Lebenslagen hinter den absurden Dialogen über das „Leben alten Stils“, die sich Winnie und Willie liefern, sieht, der vermag den so scheinbar realitätsfernen Willkürlichkeiten der Tragikomödie auch einen Gehalt abzugewinnen. Winnie nämlich steckt im ersten Akt bis zur Hüfte, im zweiten gar bis zum Hals in der Erde. Sie ist stets bemüht, sich sauber und adrett zu verhalten. Willie hört man zunächst nur aus dem Verborgenen. Er sagt wenig, und als er ganz zum Schluss mit letzter Kraft, aber geschniegelt und gebügelt, angekrochen kommt, erklärt Winnie im britischen Konversationston: „Das wird ein glücklicher Tag gewesen sein.“
Das Theader Freinsheim hält sich ganz an Becketts Wortlaut und Ablauf, weil es, wie Inhaberin Anja Kleinhans erklärt, vertraglich dazu verpflichtet ist, versetzt das Geschehen indes im Retzerpark „in eine bodenständigen und doch auch gleichzeitig zart sich zurückerobernde Weinberg-Natur-Idyll“, in der Erdreich und Winnies Kleid ineinander übergehen. Das hilflose Überspielenwollen der Gewissheit des eigenen Verfalls habe zu tiefst rührende Aktualität bewahrt, würdigt Kleinhans (Winnie) dieses Werk des Absurden Theaters. Christian Birko-Flemming (Willie) hat Becketts Stück inszeniert.
INFO
Samuel Beckett: „Glückliche Tage“ – Spieltermine: 8.-12.9. und 22.-26.9. um 19 Uhr, Freinsheim, Retzerpark (Open Air), Kartenreservierung: ; Info: theader.de