Rheinpfalz, Ausgabe vom 12. August 2023, von Klaudia Toussaint.
Morden für einen Kitaplatz? In genau diese Überlegung mündet das Gastspiel des Theaders Freinsheim beim Sommertheater des Theaters Alte Werkstatt in Frankenthal. Und das Publikum? Bog sich vor Lachen. Für die Schauspieler war die Krimi-Groteske unter freiem Himmel indessen eine echte Herausforderung.
„Achtsam morden“ – der erst vor fünf Jahren erschienene Bestseller von Karsten Dusse ist jetzt schon ein begehrter Bühnenstoff. Das Stück tritt in die Fußstapfen von „Arsen und Spitzenhäubchen“. In dem Klassiker vergiften zwei bibeltreue Schwestern im Namen des Herrn ihre Mitmenschen. Und in Dusses Kriminalsatire lässt sich der Anwalt Björn Diemel von fernöstlichen Riten zu massenhaften Morden anstiften. Im Bühnenstück des Theaders Freinsheim spielt Christian Birko-Flemming den Anwalt, genau jener Birko-Flemming, der vor Kurzem im Theater Alte Werkstatt (TAW) noch Regie geführt hat – bei „Arsen und Spitzenhäubchen“. So gesehen hat der smarte Schauspieler derzeit einen richtigen Lauf in Sachen schwarzer Humor.
Diemels erste Leiche ist eigentlich ein Versehen: Der Staranwalt versteckt den Mafiaboss Dragan im Kofferraum, weil dieser nach einem Blutbad untertauchen muss. Als liebevoller Vater verbringt der Anwalt mit Töchterchen Emily ein harmonisches Wochenende in Dragans Villa am See – und vergisst, den Mafioso rechtzeitig aus seinem Versteck zu befreien. Die Leiche zersägt er kurzerhand und versenkt sie im Wasser.
Kein einfacher Auftrag
Um seine Ehe mit Katharina zu retten, absolviert der gestresste Jurist ein Seminar für Meditation. Die Thesen seiner Kursleiterin Josephine Breitner aus dem Ratgeber „Entschleunigt auf der Überholspur“ inspirieren Diemel, Dragans Komplizen völlig tiefenentspannt der Reihe nach ins Jenseits zu befördern. Dasselbe Schicksal widerfährt Dragans konkurrierendem Bandenchef Boris und dessen Mitarbeitern. Das achtsame Morden verhilft dem Anwalt zu einer besseren und geradezu spirituellen Work-Life-Balance. Die ahnungslose Gattin ist besänftigt und stellt eine letzte Bedingung, bevor die das Kriegsbeil begräbt: Diemel soll er der Tochter einen Kitaplatz besorgen.
Kein einfacher Auftrag, hatte der Leiter der Kindertagesstätte Emily doch den Platz verwehrt, weil ihr Vater in der Kita für Dragan ein Bordell eröffnen wollte. Doch mittels Folter und Erpressung kaufte Diemel den Kindergarten auf. Und löst damit auch das letzte Problem: Bis zuletzt war ihm die Kriminalkommissarin auf den Fersen. Aber auch sie sucht händeringend nach einem Kitaplatz, den ihr der Anwalt auf dem Silbertablett serviert.
Rasante Rollenwechsel
Die Inszenierung von Anja Kleinhans folgt im Wesentlichen der recht verwickelten Handlung des Romans – was für Besucher, die das Buch nicht kennen, anspruchsvoll ist. Selbst Birko-Flemming hatte bei den Proben geäußert: „Ich komme mit den Leichen durcheinander“. Die Mordopfer konnte er dann aber doch gut sortieren, das Stück lief in Freinsheim im Juli stets bei ausverkauftem Haus. Auch dort fanden die Aufführungen unter freiem Himmel statt, weshalb sich das Ensemble auf der Freilichtbühne in Großkarlbach gut zurechtfand. Ton und Beleuchtung stimmten – nur der Verkehrslärm auf der angrenzenden Hauptstraße übertönte in den hinteren Zuschauerreihen zuweilen die Stimmen der Akteure.
Frappierend ist, dass die Inszenierung mit lediglich drei Darstellern auskommt, wobei Birko-Flemming „nur“ den Anwalt und Erzähler gibt. Was an sich schon ziemlich herausfordernd ist, da Björn Diemel in jeder Szene intensiv agiert. Die Rolle ist dem schlaksigen Mimen auf den Leib geschrieben, Wobei er die Metamorphose vom gestressten Anwalt und Ehemann zum gelassenen kriminellen Strippenzieher einen Tick zu schnell durchläuft. Da ist noch Luft nach oben.
Sämtliche der übrigen 19 Rollen sind von Kleinhans, die zudem Regie führt, und Leni Bohrmann besetzt. Bohrmann verkörpert Diemels Ehefrau Katharina, Töchterchen Emily, den kriminellen Handlanger Sascha, Puffmutter Carla, sowie fünf weitere Charaktere. Und Kleinhans schlüpft glatt in zehn Rollen, darunter die von Mafiaboss Dragan und des konkurrierenden Bandenchefs Boris.
Das Tempo der Rollenwechsel ist extrem knackig. Und es klappt, da die Schauspielerinnen stets nur wenige Kleidungsstücke wechseln. Ihre jeweils andere Identität bringen sie mittels Körper und Sprache überzeigend rüber. Selbst, wenn es zutiefst gegensätzliche Charaktere sind. So kann Kleinhans in einem Moment als vergeistigter Coach für Achtsamkeit daherkommen, um gleich darauf den urigen Russen Boris zu spielen. Und Bohrmann schafft spielend den Sprung von der vierjährigen Emily zur nörgelnden Gattin.
Entschärfte Gewalttaten
Die bluttriefende Gewalt, die in Dusses Roman mit sprachlichen Mitteln satirisch dargestellt wird, ist im Bühnenstück entschärft. Mit dem gewalttätigsten Moment wird das Publikum gleich in der Eingangsszene konfrontiert. Diemel hat Dragan zersägt und trägt blutige Handschuhe und Gummistiefel. Die übrigen Morde und Folterszenen werden lediglich berichtet, mit Kinderspielzeug verniedlicht oder angedeutet, etwa mit Hilfe von Geräuschen oder Puppen.
Und hier entwickelt sich der Roman zur Bühnen-Groteske: Ein überspitztes Spiel, das sich nicht ernst nimmt. Was bleibt ist die Karikatur einer Zeit, in der selbst spirituelle Mode fernöstlicher Achtsamkeit missbraucht werden kann für niederste Instinkte – beste Unterhaltung mit dem Stachel der Gesellschaftskritik.